Höhenangst. Für die Mitglieder der DRK Bergwachten Geislingen-Wiesensteig und Göppingen ist das ein Fremdwort. Ohne sichtbares Zögern seilen sich die tollkühnen Männer vom Hubschrauber ab, klettern auf Kräne oder retten einen Verletzten aus 75 Metern Höhe mit einem Bergesack.
Am Donnerstagnachmittag präsentierten die Bergwacht-Retter ihr Können bei einer dreiteiligen Höhenrettungsübung an der Baustelle der zukünftigen Filstalbrücke bei Mühlhausen, die im Rahmen des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm zurzeit 85 Meter über das Tal gezogen wird. Die Kameras, Fotoapparate und Handys des 30-köpfigen Presse- und Gästepulks liefen heiß, die Szenen, die sie zu sehen bekamen, hätten aus einem Action-Thriller stammen können.
Ein Hubschrauber nähert sich aus Richtung Wiesensteig, überfliegt einmal die Brücke und sondiert die Lage. Wie es im Übungsszenario heißt, hat es auf der Bauplattform an einer der Stützen, fast ganz oben bei der Brücke, einen Verletzten gegeben. Ganz langsam nähert sich der Hubschrauber dieser Stelle. Wer genau hinsieht, dem stockt der Atem: Außen auf der Kufe des Helikopters steht jemand. Dass er gesichert ist, ist von unten nicht zu erkennen. Es ist der so genannten Winch-Operator, der Winden-Bediener. Er ist derjenige, der dem Heli-Piloten genau sagt, wie der fliegen muss, damit das Seil der Seilwinde dort ankommt, wo es soll. „Langsam bedeutet Sicherheit“, betont Florian Rademacher, der Technische Leiter Sommer der DRK Bergwacht Württemberg und außerdem Mitglied in der DRK Bergwacht Geislingen-Wiesensteig. Gemeinsam mit Polizeioberrat Martin Landgraf, dem stellvertretenden Leiter der Hubschrauberstaffel, leitet er den Luftrettungseinsatz.
Dort ist höchste Konzentration angesagt: zwei Mitglieder der Bergwacht hängen am Seil und werden mit einem Bergesack hinabgelassen zu dem Verletzten. Der Hubschrauber dröhnt, steht in der Luft, ohne sich zu bewegen, die Luftretter kommen an exakt der Stelle auf, wo sie müssen. Ausklinken – der Hubschrauber fliegt weiter. Aus der Bergrettungswache im Wiesensteiger Schöntal holt er zwei weitere Luftretter. Diese jedoch setzt er oben auf der Brücke ab. „Weil das schneller und einfacher geht. Ohne den Bergesack können sie über die enge Leiter-Treppe zur Plattform hinuntersteigen“, erklärt Florian Rademacher.
Seit Ende 2018 kooperieren die DRK Bergwachten aus Württemberg und die Bergwachten aus dem Schwarzwald mit der Landes-Polizeihubschrauberstaffel, die ihre Basis auf dem Stuttgarter Flughafen und damit sehr nahe am Landkreis Göppingen hat. Erst im September 2017 wurde einer ihrer Hubschrauber mit einer Rettungswinde ausgestattet. „Damit wurde eine Lücke im Rettungswesen geschlossen“, betont Martin Landgraf. Das Wetter an diesem Donnerstagabend ist für eine solche Lebensrettung „optimal“, wie Landgraf betont: „Ein Knackpunkt wäre Nebel, das ist gefährlich. Oder auch die unterschiedlichen Windsituationen, wie sie in Tälern häufig vorkommen.“ Die Piloten der Hubschrauberstaffel seien jedoch erfahrene Flieger und hätten mindestens zehn Jahre Erfahrung als Hubschrauberpilot auf dem Buckel.
Das zeigt sich auch beim Abholen des Verletzten und seiner Retter. Alles klappt wie am Schnürchen, das Flugteam ist genauso aufeinander eingespielt wie die Luftretter der Bergwacht Württemberg. Nur 13 solcher Helden sind für das Abseilen aus dem Helikopter speziell geschult und gehören einer Einheit an, zwei von ihnen sind darüber hinaus Mitglied der DRK Bergwacht Göppingen, drei aus der von Geislingen-Wiesensteig.
„So eine Rettung ist doch immer wieder aufs Neue beeindruckend“, sagt auch Armin Guttenberger, der Landesleiter der Bergwacht Württemberg, der sich unter den Zuschauern befindet.
Gesamteinsatzleiter der Übung ist Andreas Nuding von der Bergwacht Geislingen-Wiesensteig. Der ist auch nach dem Hubschrauber-Spektakel noch am Beobachten: An der Stütze der anderen Eisenbahnspur, die noch gar nicht existiert, seilen seine Männer einen Verletzten von einer Plattform mit einem Bergesack nach unten ab. Die Plattform befindet sich etwa 75 Meter weit oben. „Terrestrische Rettung“, heißt ein solcher Einsatz. Genau wie der dritte Einsatz am Baukran, wo sich jemand im dortigen Treppenturm verletzt hat und gerettet werden muss. Innen ist es zu eng, deswegen lösen die Retter das Problem mit dem Huckepack-System und seilen Retter und Verletzten gemeinsam außen am Kran ab.
Am Ende bedankt sich Armin Guttenberger bei den Helfern der Polizeihubschrauberstaffel und bei den Bergwacht-Kameraden: „Das war eine super Zusammenarbeit und sehr effektiv. Die neue Rettungswinde ist doch ein erheblicher Mehrwert.“ Dieser Meinung schlossen sich vermutlich alle Anwesenden an.