Von einer „unzumutbaren Situation“ für die Patienten spricht die Leiterin der Notaufnahme in der Göppinger Klinik am Eichert, Dr. Katja Mutter. Der Geschäftsführer des DRK-Kreisverbands Göppingen, Alexander Sparhuber, stößt ins gleiche Horn, die Lage sei „prekär“. Weil eine Vereinbarung mit den Krankenkassen nicht zustande gekommen ist, fahren nachts keine Krankenwagen mehr – wer liegend transportiert werden muss, hat Pech gehabt. „Das ist ein Thema, das uns auf Landesebene beschäftigt“, sagt Pressereferent Renato Gigliotti vom Innenministerium.
Von ein bis vier Betroffenen pro Nacht alleine in der Göppinger Klinik berichtet Katja Mutter. Typische Fälle seien Patienten, die mit einem Rettungswagen in die Notaufnahme gebracht werden, zum Beispiel nach einem Sturz. Wenn sich ergibt, dass nichts gebrochen ist, kann der Patient rasch wieder entlassen werden. „Wann immer möglich, bitten wir Angehörige um Abholung“, sagt die Chefärztin. „Das Problem sind aber die Patienten, die liegend transportiert werden müssen.“ In der Regel seien das Menschen aus Pflegeheimen, die zum Teil auch dement seien.
Die Klinik darf sie nicht stationär aufnehmen, da es keine medizinische Indikation gibt und folglich die Kassen nicht bezahlen. Der Rettungswagen (RTW) darf sie nicht nach Hause transportieren, weil auch das keine Kasse bezahlt. Das könnte nur mit einem Krankentransportwagen (KTW) geschehen. „Doch die fahren ab 19 Uhr nicht mehr“, sagt Katja Mutter. Die Folge: „Die Patienten müssen die Nacht in der Notaufnahme verbringen.“
Oft werden deren Betten einfach im Gang abgestellt, damit das Pflegepersonal diese Menschen im Blick hat – neben seiner regulären Arbeit. „Das kriegen wir nicht bezahlt“, sagt die Leiterin der Notaufnahme. „Egal, wie lange jemand dort liegt oder wie viel Aufwand er uns bereitet.“ Frühestens um 7 Uhr morgens fahren dann wieder die ersten KTW.
Sparhuber bestätigt die Schilderungen der Ärztin. Er kennt auch die Hintergründe: „Im vergangenen Jahr wurden auf Landesebene einheitliche, kostendeckende Krankentransport-Entgelte ausgehandelt.“ Im Dezember habe dann eine der beteiligten Krankenkassen die Vereinbarung in letzter Sekunde platzen lassen. „Das hat bei allen Beteiligten zu großer Verärgerung geführt.“ Er bestätigt, dass es sich dabei um die AOK handelt.
Seit dem 1. Januar dieses Jahres sind auch im Kreis Göppingen – wie im Rest des Landes ohnehin schon – die KTW und RTW strikt getrennt, es gibt keine Mehrzweckfahrzeuge mehr, die für beide Einsatzbereiche geeignet sind. Seitdem sind die Krankentransporte für das DRK ein Zuschussgeschäft, sagt Sparhuber: „Pro Transport bekommen wir 56 Euro und legen nochmal so viel drauf.“ Nachts seien die Kosten nochmals erheblich höher.
Nach der geplatzten Einigung seien allein im Regierungsbezirk Stuttgart mittlerweile 50 Verfahren bei der vom Regierungspräsidium gebildeten Schiedsstelle anhängig, sagt Sparhuber. „Auch von uns in Göppingen.“ Im Ministerium wird öffentlich nicht gerne über das Problem gesprochen. Nach mehr als einem Tag reagiert die Pressestelle mit einer Stellungnahme, die aus einem Satz besteht: „Das Innenministerium bemüht sich seit geraumer Zeit um eine auskömmliche Finanzierung des Krankentransports und erwartet von der Selbstverwaltung, dass es zeitnah zu einer neuen Finanzierungsvereinbarung und einer dem Bedarf entsprechenden Aufstockung von Vorhaltungen im Krankentransport auch zu den Randzeiten (in der Nacht, am Wochenende und an den Feiertagen) kommen wird.“
Auch die Pressestelle der AOK Baden-Württemberg äußert sich nur knapp und verweist darauf, dass immer auf Kreisebene verhandelt werde: „Auf Landesebene diskutierte Lösungen können daher nicht auf ganz Baden-Württemberg bezogen werden. Daher kann nicht davon gesprochen werden, im Herbst 2017 sei eine landesweite Einigung gefunden worden.“ Im Kreis Göppingen fielen derzeit nachts im Schnitt vier bis fünf Krankentransporte an. Dieser Bedarf lasse sich mit einem KTW decken. „Über die konkrete Ausgestaltung und Vergütung dieser Transporte verhandelt die AOK Baden-Württemberg derzeit mit den Leistungserbringern.“ DRK-Chef Sparhuber hat die Situation im Herbst anders in Erinnerung als die Verantwortlichen der AOK: „Uns wurde gesagt, es gibt eine landeseinheitliche Regelung.“
Rettungsdienst soll neu aufgestellt werden
Bereits vor wenigen Tagen hat Innenminister Thomas Strobl (CDU) angekündigt, den kriselnden Rettungsdienst im Land neu aufzustellen. Dazu gehöre "mit einer bereichsübergreifenden, landesweiten Planung die Rettungswagen bestmöglich im Land zu verteilen". Bisher entscheidet jeder der 34 Rettungsdienstbereiche selbst. Strobl will zudem die Notfallrettung vom Krankentransport trennen.