„Schnauft er noch?“ Ein Junge bringt sein Ohr in Richtung Nase seines reglos am Boden liegenden Freundes. Gekonnt überstreckt der 10-Jährige den Kopf des Kumpels, bringt seine Arme in die richtige Position, stellt das linke Bein auf und dreht ihn beherzt zu sich her. „Super gemacht, die stabile Seitenlage“, lobt Bettina Steinbacher den Viertklässler.
Die ausgebildete Rettungssanitäterin, die für den DRK Kreisverband Göppingen tätig ist und sich ehrenamtlich in der Bereitschaft Hattenhofen als stellvertretende Bereitschaftsleiterin und Helferin vor Ort engagiert, hat die Viertklässler der Hattenhofener Grundschule acht Stunden lang in Erster Hilfe unterrichtet. Heute stellen die Kinder in einem kleinen Parcour mit sechs Stationen unter Beweis, dass sie viel gelernt haben. Was tun bei Nasenbluten? Wie legt man einen Druckverband und einen Fingerkuppenverband an? Wie setzt man einen Notruf ab und was ist zu beachten? Vier Ehrenamtliche der DRK-Bereitschaft Hattenhofen und zwei Lehrerinnen sind an den Stationen mit im Einsatz und geben bei Bedarf kleine Hilfestellungen. Am Ende erhalten alle Kinder eine Urkunde und die 4. Klasse erhält vier Warnwesten und einen Erste-Hilfe-Rucksack. Alle haben die kleine Prüfung bestanden und können nun als „Schulsanitäter“ zum Einsatz kommen.
Der Erste-Hilfe-Unterricht soll in der Grundschule Hattenhofen keine Eintagsfliege sein. Zusammen mit dem DRK wurde ein auf vier Jahre angelegtes Projekt gestartet, das dazu beitragen soll, die Kinder spielerisch mit Erster Hilfe vertraut zu machen und Hemmungen abzubauen. „In Deutschland kommen – anders als in Norwegen, Schweden, Dänemark oder den Niederlanden - viele Menschen mit Erster Hilfe erstmals in Berührung, wenn sie den Führerschein machen“, weiß Bettina Steinbacher. „In diesen Ländern, wird Erste Hilfe bereits in der Grundschule unterrichtet, was seit der Einführung zu einer deutlich besseren Ersthelferquote geführt hat.“
Die großzügige finanzielle Unterstützung der Hilde und Hermann-Walter-Stiftung ermöglicht, zunächst für ein Jahr, dass das spielerische Heranführen an die Erste Hilfe nun für vier Jahre in Hattenhofen als Projekt Schule machen kann. Auch in den Klassen eins, zwei und drei fanden bereits Unterrichtseinheiten statt. „Das stetige Wiederholen und Erweitern der Inhalte macht die Kinder selbstsicher und selbstständig“, ist Konrektorin Stephanie Stähle überzeugt. „Sie lernen die Lage einzuschätzen und durch die Regelmäßigkeit wird das Helfen es zu etwas Selbstverständlichem. Ich hoffe sehr, dass der Erste-Hilfe-Unterricht auch nach den vier Jahren ein Teil des Sozialcurriculums der Schule bleiben kann.“
Zum Erste-Hilfe-Parcour und der Urkundenverleihung wurden auch die Eltern eingeladen. Nicht ganz ohne Hintergedanken. Ziel ist, auch das Bewusstsein der Erwachsenen zu wecken und dazu anzuregen selbst mal wieder einen Erste-Hilfe-Kurs zu machen.
„Wir hoffen, dass das Hattenhofener Beispiel Schule macht und möglichst viele Nachahmer findet“, sagt Bettina Steinbacher. „Erste Hilfe leisten zu können und zu wollen, sollte zu etwas völlig Selbstverständlichem in unserer Gesellschaft werden und in der Schule werden von Anfang an alle erreicht. Eine bereits in der Grundschule beginnende Heranführung an Erste Hilfe Hilfe-Themen bietet die Möglichkeit für nachhaltiges Lernen, in vielen Kompetenzbereichen, vermindert die Entstehung von Hemmschwellen und fördert die Zivilcourage und das Selbstbewusstsein.“
Info
Das Deutsche Reanimationsregister verweist im Jahresbericht „Außerklinische Reanimation 2022“ auf 51,3 Prozent Laienhelfende, die bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes reanimiert haben. Die Quote steigt seit 2010 zwar an, trotzdem befindet sich Deutschland im europaweiten Vergleich im hinteren Mittelfeld. Norwegen beispielsweise weist eine Quote von mehr als 80 Prozent auf, Dänemark erreicht fast 70 Prozent. Zahlen belegen, dass sich in Dänemark die Überlebensrate seit der Einführung von Erste-Hilfe-Training an Schulen im Jahr 2005 mehr als verdoppelt hat. Erst 2014 empfahl in Deutschland der Schulausschuss der Kultusministerkonferenz, das Thema Reanimation in die Lehrpläne für weiterführende Schulen aufzunehmen. Bis dato haben jedoch nur drei der 16 Bundesländer (Baden-Württemberg, Saarland und Mecklenburg-Vorpommern) die Empfehlung übernommen.