Kreis Göppingen - „Wir bekämpfen die Symptome, nicht die Ursachen.“ Markus Lehnert, Sozialdezernent des Landkreises, sprach den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Liga-Fachtages der Freien Wohlfahrtspflege – das sind die Arbeiterwohlfahrt, der Caritas-Verband, das Diakonische Werk, das Deutsche Rote Kreuz und der Paritätische – direkt aus der Seele. Gemeinsam mit Sascha Lutz (Diakonisches Werk) und Sabine Stövhase (Caritas-Verband) diskutierte er, von Dorothee Kraus-Prause souverän moderiert, in einer Gesprächsrunde in der Göppinger Stadtkirche mit dem Sozial-, Erziehungs- und Politikwissenschaftler Professor Dr. Christoph Butterwegge.
Seinen Fachvortrag hörten nicht nur zahlreiche Mitarbeitende von Behörden und Trägern sozialer Arbeit, sondern auch Bürgermeister, Kommunalpolitiker und die Präsidentin der IHK Göppingen, Edith Strassacker. Die hatte vor einer Polarisierung gewarnt und gefordert, möglichst vielen Menschen so zu helfen, dass sie aus eigener Kraft „aus ihrer Situation herauskommen.“
Butterwegge hielt entgegen, dass die Ausgaben für Bildung in Deutschland niedrig seien, die Bundesregierung Mittel für berufliche Qualifizierung zurückfahre und dass vom Prinzip der Leistung als Erfolgsmesser Abschied genommen werden müsse. Auch dem Bad Boller Bürgermeister Hans-Rudi Bührle widersprach er. Der hatte betont: „Sozial ist, was Arbeit schafft.“ „Nein, sozial ist, was Armut abschafft“, bekräftigte der Referent.
Die zunehmende Armut, die längst in der Mittelschicht angekommen sei, ist für Butterwege nicht nur durch „Infektion, Invasion und Inflation“ erklärt. Er sieht die Ursachen in der Politik der vergangenen Jahrzehnte, und hier insbesondere in der des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Der habe die Deregulierung des Arbeitsmarktes für die Wirtschaft gemacht, habe sich gerühmt, „den besten Niedriglohnsektor Europas“ geschaffen zu haben. Es sei deshalb dringend geboten, Regelungen zu überdenken – auch die Höhe des Mindestlohns.
Im Um- und Abbau des Sozialstaates sieht Butterwegge die Gründe für die Verdoppelung der Zahl der Kinder, die von Armut betroffen sind: „Hartz-IV ist eine der wesentlichen Ursachen für die wachsende Ungleichheit.“ Weitaus mehr Aufmerksamkeit wünscht er sich für die Steuergesetzgebung des Bundes, die vom Matthäus-Evangelium geprägt zu sein scheine. „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden“, heißt es da. So funktioniere etwa die Erbschaftssteuer. „Wenn Sie drei Wohnungen erben, müssen Sie
Steuer zahlen, ab 301 nicht mehr.“
Die Kapitalertragsteuer, in den Neunzigern noch bei 53 Prozent, betrage nicht einmal mehr die Hälfte. Die Mehrwertsteuer aber, die die Ärmsten am härtesten trifft, sei vom SPD-Finanzminister Peer Steinbrück auf 19 Prozent erhöht worden: „Die Mittelschicht kommt also immer stärker unter Druck und wendet sich nach rechts.“ Und: „Der gesellschaftliche Zusammenhalt schwindet.“ Es brauche deshalb eine solidarische Bürgerversicherung, „in die alle einzahlen, und eine andere Steuerpolitik.“ Der Professor bekräftigte: „Wir müssen die Ungleichheit bekämpfen, um unsere Demokratie zu bewahren.“
Explosion der Vermögen von Milliardären
Die Steuer-Gesetzgebung begünstige die Hyper-Reichen. Sie haben laut des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ihre Vermögen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich erhöhen können. Die 45 reichsten Deutschen etwa besitzen genauso viel Geld wie die Hälfte der Bevölkerung, also wie 40 Millionen Deutsche, so das DIW. Es spricht von einer „regelrechten Explosion der Vermögen der Milliardäre“. Das von Dieter Schwarz (Lidl und Kaufland) beträgt rund 48 Milliarden US-Dollar. Er ist damit der reichste Deutsche. Das DIW stellt auch fest: „Deutschland besteuert Vermögen kaum und Arbeit stark.“ Weiteres unter www.diw.de.