Es ist Freitagabend, kurz vor halb zehn. Essensdüfte, die das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, ziehen durchs Uhinger Uditorium. Über 300 Menschen haben sich hier zum gemeinsamen Fastenbrechen versammelt, sowohl Christen als auch Muslime. Für Muslime ist der Ramadan – der Fastenmonat – heilig. Er ist einer der fünf Säulen des Islam. Das allabendliche Fastenbrechen (Iftar) gerät zum Fest, entweder im kleinen Kreis der Familie oder im großen Kreis mit Nachbarn und Freunden. Wie in Uhingen, wo sich die Deutsch-Türkische Gesellschaft (DTG) e.V. aus Stuttgart, die VTV (Vereinigung Türkischer Vereine im Landkreis Göppingen e.V.) und das Deutsche Rote Kreuz Kreisverband Göppingen zum dritten Mal seit 2013 zusammengetan haben, um diese Veranstaltung gemeinsam zu begehen. Es geht ihnen ums gegenseitige Kennenlernen, Verstehen, Respektieren, Wertschätzen. Deshalb lautet das Motto des Abends "Kennenlernen und einander verstehen".
Zum Respekt etwa gehört, dass sich keiner von den deutschen Gästen etwas zu trinken einschenkt oder eine der auf den Tischreihen bereitgestellten Datteln isst, bevor Imam Erdogan Tuna mit dem Abendgebetsaufruf das Ende dieses Ramadan-Fastentages einläutet. Das passiert pünktlich um 21.36 Uhr – Sonnenuntergang nach dem islamischen Mondkalender.
Jetzt darf jeder mit dem Essen einer Dattel offiziell das Fasten brechen, dann die von vielen fleißigen Helfern der türkischen Gastgeber servierte Linsensuppe essen und schließlich das Büffet stürmen. Schnell bilden sich lange Schlangen. Die hungrigen Gläubigen füllen Berge an Gemüse, Bulgur, Lammfilet, Rinderbraten, Hähnchenschenkel und Salat auf ihre Teller. Danach gibt’s Dessert. Sie strahlen, während sie das erste Essen dieses Tages an ihre Plätze balancieren. Der Chefkoch des Abends, Seyhmus Saruhanoglu, und sein Team haben ganze Arbeit geleistet und nicht nur für den guten Geschmack gesorgt, sondern auch für optische Glanzpunkte wie etwa kunstvoll verzierte Wassermelonen.
Bevor es jedoch so weit war, gaben sowohl die muslimischen Gastgeber und türkische Ehrengäste als auch ihre deutschen Pendants sich gegenseitig den Platz am Rednerpult weiter. Zuerst begrüßte Aykut Düzgüner, der Vorsitzende der DTG, die Gäste. „Ihr zahlreiches Erscheinen zeigt, wie ernst Sie uns nehmen“, sagte er und drückte seine Freude darüber aus. Sicherheit, Freiheit und die demokratische Grundordnung seien Werte, die auch die Muslime in Deutschland hochhielten, betonte er und kritisierte in deutlichen Worten den Radikalismus sowohl auf islamischer als auch christlicher Seite. „Das gemeinsame Fastenbrechen ist ein Zeichen der Versöhnung und ein Akt für den Frieden“, brachte Düzgüner seine Meinung auf den Punkt und ergänzte: „Eine bessere Welt fängt bei uns selbst und unserer Umwelt an!“
Im Anschluss bedankte sich der türkische Generalkonsul Ahmet Akinti, der extra aus Stuttgart gekommen war, für die Einladung und dafür, dass er „Teil dieser Gemeinschaft“ sein dürfe. Er bedauerte, dass das Image des Islam unter den schlimmen Anschlägen gelitten habe und appellierte an seine Landsleute, sich ehrenamtlich einzusetzen, um dem entgegenzuwirken und dadurch zum sozialen und humanitären Miteinander in der deutschen Gesellschaft, zu der sie gehörten, beizutragen.
Für Peter Hofelich, den Präsidenten des DRK-Kreisverbandes Göppingen, bildete die Mischung der Besucher die „Lebenswirklichkeit im Kreis Göppingen“ ab. Er freute sich über die spürbaren Erfolge im Miteinander des DRK mit den interkulturellen Partnern. Seit Beginn der interkulturellen Öffnung im Jahr 2013 engagierten sich 39 Ehrenamtliche mit Migrationshintergrund mehr beim DRK als davor, bei den Hauptamtlichen gebe es gleich elf solch neuer Mitarbeiter. „Neben den Verben zusammenarbeiten, kennenlernen und einander verstehen bringe ich die Hauptwörter Verständnis, Respekt und Vertrauen mit Ihnen in Verbindung“, erklärte Hofelich.
„Wir sind eingeladen zur Gastfreundschaft Allahs“, zitierte Vedat Dag vom VTV danach aus dem Koran. Der Fastenmonat gebe Gelegenheit, „unsere individuelle und gesellschaftliche Verbundenheit zu stärken“ und sei ein Fest der Begegnung. Er wünschte sich eine „bunte Gesellschaft, die die Zukunft im gemeinsamen Vertrauen gestaltet.“
Sozialdezernent Hans-Peter Gramlich überbrachte Grüße von Landrat Edgar Wolff, der in seinem Grußwort den Ramadan als „Zeit der inneren Einkehr und der Besinnung auf Gott“ bezeichnete, die aber auch eine große zwischenmenschliche Bedeutung habe. „Solche Begegnungen wie hier beim gemeinsamen Fastenbrechen helfen bei der Integration“, ließ er ausrichten. Wichtig dazu sei die Bereitschaft aller. Wer die Vorurteile überwinde, könne die Vielfalt als Bereicherung erkennen, fügte Gramlich hinzu.
Bevor Imam Yavuz Yiyit vom Islamischen Kultur- und Bildungszentrum Ebersbach e.V. mit seinen für deutsche Ohren seltsam klingenden, andächtig gesungenen Koran-Rezitationen vor dem Abendgebetsaufruf begann, freute sich Ingrid Held, Studienleiterin der Evangelischen Kirche Göppingen über die Möglichkeiten des Abends zum Dialog. „Ihre Gastfreundschaft trägt dazu bei, das Wissen und Verstehen zum Ramadan zu verbreiten“, zeigte sie sich überzeugt. Bürgermeister Matthias Wittlinger, der erst später kommen konnte, musste seine Rede kürzen, damit das Fastenbrechen pünktlich beginnen konnte. Er finde es spannend, den Prozess des Aufeinanderzugehens mitzuerleben, gab er dabei zu. Immerhin hätten 12 bis 14 Prozent aller Uhinger Mitbürger einen Migrationshintergrund.
Der Redereigen vor dem eigentlichen Fastenbrechen wurde aufgelockert durch Musikanten mit den orientalischen Musikinstrumenten Nay (Flöte) und Oud (Laute). Sowie dem „Tanz eines Derwischs“, der selbst die Zuschauer schwindelig werden ließ, weil sich der „Derwisch“ minutenlang im Kreis drehte – ohne dabei jegliche Gleichgewichtsverluste zu beklagen.