· Geislinger Zeitung 2015

Zigarren gegen Schmerzen

Alles ganz genau erklärt Jens Currle bei der Führung durch das Rotkreuz-Landesmuseum. Seine Gäste hören aufmerksam zu und bewundern gerade einen historischen Rettungswagen.

Ver-Führte tauchen im Geislinger Rotkreuz-Landesmuseum ab in DRK-Historie. Das Rotkreuz-Landesmuseum in Geislingen dokumentiert die Geschichte einer Rettungsorganisation, die 112 Jahre zurückreicht. Diese Geschichte erlebten acht Besucher beim „Sommer der Ver-Führungen“.

Geislingen - Beim „Sommer der Ver-Führungen“ bot Jens Currle acht Besuchern eine etwas andere Führung durch das Rotkreuz-Landesmuseum in Geislingen. Der Museumsleiter ließ sie am Ende seiner gut zweistündigen Präsentation der wertvollen und häufig einzigartigen Exponate ein paar der Dokumente durchblättern und studieren, mit deren Hilfe er und die anderen ehrenamtlichen Museumskollegen sonst Hintergrund-Recherchen vornehmen.

Außerdem betrachteten die Besucher nicht nur interessiert die Rotkreuz-Uniformen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, zu denen als Ausrüstung unter anderem Hauer und Leuchte gehörten. Sie durften einen solchen Hauer – ein nicht allzu scharfes Arbeitsmesser mit Sägerücken und ohne Spitze, für DRK-Unterführer bestimmt – selber betrachten, anfassen, sich eine Meinung dazu bilden.

Genauso wie zur Kerzenleuchte. Um zu demonstrieren, mit wie wenig Leuchtkraft die Rotkreuzler jener Zeit auskommen mussten, wenn sie auf diese eine Kerze im Kerzenhalter am Gürtel angewiesen waren, versammelte Currle seine Gäste in einem dunklen Raum. Es war bis auf den erhellten Punkt überhaupt nichts zu sehen oder gar Details zu erkennen.

Bevor er jedoch zum Praxisteil überging, hatte Currle bereits genügend Zeit gehabt, die Ver-Führten mit seiner Begeisterung und Leidenschaft für das Rotkreuz-Landesmuseum anzustecken. „Es gibt wenige Sammlungen, die so komplett sind – inklusive hinterlegten Dokumenten – wie unsere“, informierte er seine Zuhörer. Die ersten Besonderheiten bewunderten die Gäste gleich im Eingangsbereich des Erdgeschosses: Ein 20 Jahre altes, ehemaliges Einsatzmotorrad. Dass man sich darauf sogar setzen dürfe – auf diese indirekte Einladung reagierte jedoch keiner der Besucher. Auch ein VW Käfer, der einst als Führungsfahrzeug des Hilfszugs Baden-Württemberg nach dem Erdbeben im italienischen Friaul im Einsatz war und eine Kutsche als Rettungswagen standen dort.

Anschaulich schilderte Currle, wie sich ein Patient jener Zeit wohl fühlte, wenn er in dem ungefederten Fahrzeug lag, dessen Holzreifen mit Stahlband ummantelt waren, und von Pferden über schlecht befestigte Feldwege und Pflastersteine gezogen wurde. „Schmerzmedikamente gab es damals, Anfang des letzten Jahrhunderts, noch nicht“, erklärte er, „allerdings bekamen Patienten eine Zigarre zur Entspannung. Die hatten wohl eine euphorisierende Wirkung.“ Diese Information habe er aus einem vorliegenden Rechenschaftsbericht, in dem der Kauf von 50.000 Zigarren vermerkt ist. Die wurden vor allem während des Krieges an die Verwundeten in den Lazarettzügen verteilt, die in Geislingen Halt machten.

Von einem zum nächsten Ausstellungsstück führte Currle die Besucher, wusste dabei zu jedem etwas zu erzählen. Vor den inneren Augen seiner Zuhörer entstanden Schreckensbilder aus der Schlacht von Solferino, die den Schweizer Henri Dunant so schockierte, dass er vier Jahre danach im Jahr 1863 das „Rote Kreuz“ gründete. Diese Schlacht, die sich das Kaiserreich Österreich und das Königreich Sardinien lieferte, war ein Gemetzel mit knapp 30.000 Toten und Verwundeten.

Die Besucher konnten sich vorstellen, wie engagierte Rotkreuzler im Winter durch kniehohen Schnee mit einem Rettungsschlitten Verletzte bargen oder mit der „Hand-Marie“ vier bis fünf Stunden bis Böhmenkirch marschierten, um von dort jemanden ins Geislinger Bezirkskrankenhaus zu transportieren – während sie selber das Liegegefährt schoben.

Fasziniert erlebten Currles Gäste per Fahrsimulator eine Fahrt mit dem Notarztwagen in Hochgeschwindigkeit durch den Geislinger Straßenverkehr, ließen sich vom Museumsleiter „Höllengeräte zum Beatmen“ zeigen, bewunderten die Feldküche samt Riesen-Kochlöffeln und erfuhren von den Einsätzen der Bergwacht beziehungsweise vom segensreichen Tun des DRK-Suchdienstes nach dem Krieg.

„Das war hochinteressant“, fand am Ende der zweieinhalbstündigen Führung Annemarie Schernthanner aus Deggingen, ihr Mann Günter meinte: „Wir müssen unbedingt nochmal kommen und uns alles noch genauer anschauen.“ Manfred und Kornelia Braun aus Göppingen waren sich einig, dass es „ohne Führung lang nicht derart interessant gewesen wäre“.