· Geislinger Zeitung 2015

Retter in der Not

Großübung der Bergwacht am Stellfelsen auf der Lenninger Alb. Das Einsatz-Szenario: Eine Kletterin ist 15 Meter tief abgestürzt, ihre Partnerin von einem herabfallenden Stein verletzt worden: Routiniert versorgen die Retter die Frauen, bevor sie über den Felsen und durch den steil abfallenden Wald durch das eingespielte Team geborgen werden.

Ob zu Lande, zu Wasser oder in der Luft, ob Frühling, Sommer, Herbst und Winter – spielt das Wetter mit, heißt es für viele: Nix wie raus in die Natur. Immer beliebter wird der Outdoor-Sport, immer öfter muss deshalb auch die Bergwacht ausrücken.

Leider gibt es immer noch genügend Menschen, die nicht wissen, dass wir hier im Kreis Göppingen eine Bergwacht brauchen. Doch das Gegenteil ist der Fall, die Zahl der Einsätze steigt kontinuierlich“, weiß Raimund Wimmer aus Heiningen. Der Pressesprecher der Bergwacht Württemberg ist seit 37 Jahren Mitglied und bei fast jedem Einsatz vor Ort, half mit weiteren Kollegen, auch im Ausland Leben zu retten. 1991 waren auch Göppinger Bergretter bei einem Hilfseinsatz für aus dem Irak vertriebene Kurden im alpinen türkisch-irakischen Grenzgebiet im Einsatz. „Unsere Intention ist, Menschen zu retten“, sagt Raimund Wimmer.

Erst vergangenen Sonntag gegen 12 Uhr wurden die Bergwachten Geislingen-Wiesensteig und Göppingen unter der Einsatzleitung von Frieder Arnold zu einem Einsatz oberhalb von Bad Ditzenbach gerufen. Auf einem Singletrail im Bereich der Albvereins-Hütte und der Burgruine Hiltenburg waren drei Mountainbiker unterwegs, einer davon stürzte bei der Abfahrt in den Hang hinein. Der 28-jährige Mann zog sich dabei schwere Verletzungen an Kopf und Schulter zu. Der Patient wurde notärztlich versorgt und mit der Gebirgstrage zum wartenden Rettungswagen transportiert. Insgesamt acht Bergretter aus dem Kreis Göppingen waren ehrenamtlich im Einsatz.

Abrechnen kann die Bergwacht ihre Einsätze mit den Krankenkassen, wenn der Patient an den boden- oder luftgebundenen Rettungsdienst übergeben wird. „Nur dann können wir bei der Krankenkasse unseren Einsatz mit einer Pauschale in Rechnung stellen. Es kam aber auch schon vor, dass die Leute sich weigerten, sich zur Weiterbehandlung in die Klinik bringen zu lassen, weil sie meinten, ihre Verletzungen seien nicht allzu groß. Dann bekommen wir aber nichts von den Krankenkassen.“

Den Ernstfall trainieren die Frauen und Männer der Bergwacht Württemberg auch in Großübungen wie jüngst auf der Lenninger Alb bei Schopfloch. Zwei Mädchen galt es dabei zu retten. Was viele nicht wissen: Die ehrenamtlichen Bergretter zahlen ihre persönliche Ausrüstung aus eigener Tasche.

„Kletterin, weiblich, 16 Jahre, ist infolge eines Steinausbruchs aus etwa 15 Metern abgestürzt und liegt schwer verletzt am Fuße des Stellfelsens im Gebiet der Lenninger Alb. Ihre gleich alte Kletterpartnerin wurde beim Sichern durch herabstürzende Felsbrocken getroffen und rutschte den steilen, dicht bewaldeten Abhang hinunter.“ Diese Meldung geht per Handy an die Rettungsleitstelle. Von dort werden umgehend Notarzt, Rettungsdienst sowie die Bergwacht alarmiert – ein gestelltes Szenario, wie es die Bergwacht jedoch immer häufiger in der Realität erlebt. Unwegsames alpines Gelände, nicht befahrbarer Wanderpfad, Fluss- oder Bachbett – im Rettungsdienst ist die Bergwacht die einzige Organisation, die sich als Helfer in der Not abseits jeglicher Straßen spezialisiert hat.

„Präklinische Erstversorgung, Herstellung der Transportfähigkeit, Abtransport bis zur Übernahme durch den Rettungsdienst. Wir fangen da an, wo andere aufhören, bei jedem Wetter, in jedem Gelände, 24 Stunden an 365 Tagen“, betont Günter Wöllhaf, Landesleiter der Bergwacht Württemberg, und ergänzt: „Nicht zu vergessen die Durchführung von Naturschutz-Streifen und Projekten, wie zum Beispiel die Landschaftspflege.“ So ist die Teckmauer zu sehen, weil sie die Bergwacht vom Efeu befreite. Die Bergwacht Württemberg absolviert unter der Einsatzleitung von Tobias Magenau und Bereitschaftsleitung von Edgar Balzer eine aufwendige Großübung mit Sicherungsaufbau im schwer zugänglichen Steilgelände der Schwäbischen Alb zum Wandfuß, Erstversorgung, Rettung sowie Abtransport der Schwerverletzten. Die erfahrenen und intensiv ausgebildeten Helfer unterscheiden in ihrem Tun nicht zwischen Übung, Training oder Ernstfall. Wie bei jedem Unglück kommt es auf die Minute an. Jasmin Kuch und Michelle Clauß werden vor Ort notärztlich versorgt und gut fixiert liegend in einer Gebirgstrage sowie in einem Bergesack routiniert und dennoch vorsichtig hochgetragen oder mittels Zweibein entlang der steilen, überhängenden Felswand nach oben gezogen. Die beiden unverletzten Mädchen von der Jugendfeuerwehr Schopfloch haben sich mutig zur Verfügung gestellt.

Nach einem vierjährigen Umstrukturierungsprozess geht das Einsatzleitgebiet Esslingen der Bergwacht Württemberg fortan mit diesem neuen Einsatzleitermodell an den Start. Kongenial und Hand in Hand agierten die beiden Bergwacht-Bereitschaften Lenninger Tal und Stuttgart, vermittelten den außenstehenden Zaungästen Sicherheit und Vertrauen. Zuweilen mit im Team ist die Feuerwehr Schopfloch. Ganz klar signalisiert die Bergwacht: Die Anforderungen an die rund 1.500 freiwilligen Helfer steigen kontinuierlich. „Allein im vergangenen Jahr waren es bei 375 Einsätzen zirka 112.330 Stunden“, rechnet Günter Wöllhaf vor und sein Stellvertreter, Armin Guttenberger, fügt hinzu: „Die einzelnen Abteilungen finanzieren sich ausschließlich anhand von Spenden, bescheidenen Gewinnen aus Festen sowie aus eigener Tasche und gewährleisten dadurch den Fortbestand des Rettungsdienstes.“ Viele Gerätschaften, wie zum Beispiel das Zweibein, wurden von der Bergwacht Lenninger Tal selbst bezahlt. Winfried Mess, Geschäftsführer der DRK-Bergwacht Stuttgart: „Vom Land bekommen wir für Fahrzeuge und Rettungsmittel-Equipment 50.000 Euro pro Jahr. Diese Summe wird im Vorfeld von der Gerätekommission so festgeschrieben. Dazu fließen gleichfalls jährlich 62.000 Euro Sportfördermittel sowie 13.000 Euro Ausbildungsförderung.“ Anvisiert werden von der Bergwacht Württemberg, insgesamt sind es 19 Bereitschaften, und Bergwacht Schwarzwald, dort sind es 25 Bereitschaften, insgesamt 1,6 Millionen Euro. Die Verhandlungen laufen derzeit, doch der Referatsleiter befürchtet, dass sich die Budgetverhandlungen vom Land sowie den Vertretern der Krankenkassen hinziehen. Der längst fällige Umbruch, „so behandelt zu werden wie der gängige Rettungsdienst“, wird seiner Ansicht nach wohl erst 2017 zum Tragen kommen.

Sogar schon Post geborgen

Leidenschaft, Hobby, Berufung und bisweilen Einsätze, bei denen es nicht um Lebensrettung geht, sondern um Unterschlagung und groben Unfug. Die Bergwacht Geislingen-Wiesensteig als Briefträger?

Logisch, sogar am Sonntag. Zahlreiche Postkisten und Briefe lagen am 21. Juni dieses Jahres am Kuchfels bei Geislingen im steilen Waldgelände verteilt. Im Auftrag des Polizeireviers Geislingen übernahm die Bergwacht die Bergung der Kisten, mitsamt zugehörigem Inhalt. Die „erneute Briefzustellung“ durfte ein gewissenhafterer Postzusteller übernehmen. Für diesen groben Unfug waren fünf Einsatzkräfte 2,5 Stunden ehrenamtlich im Einsatz.

Daten und Fakten zur Bergwacht

Einsätze: Bergwacht Göppingen bis zum Stichtag 31. Juli: 14 (darunter vier während der Arbeitszeit.) Einsatzdauer: 37 Stunden. Anzahl der dabei insgesamt eingesetzten Bergretter: 55. Einsatzstunden: 259. Einsätze Bergwacht Geislingen-Wiesensteig bis zum Stichtag 31. Juli: 20 (darunter sieben während der Arbeitszeit.) Einsatzdauer: 27 Stunden. Anzahl der dabei insgesamt eingesetzten Bergretter: 85. Einsatzstunden: 123.

Koordination: Von der Rettungswache des DRK am Eichert rücken die beiden Einsatzfahrzeuge der Bergwacht Göppingen aus. Je ein Einsatzfahrzeug der Bergwacht Geislingen-Wiesensteig ist in Geislingen und in Wiesensteig stationiert. Koordiniert werden die Bergwachteinsätze von der Integrierten Leitstelle Göppingen über die europaweit einheitliche Notrufnummer 112.

Aufgabe: Mit dem Ziel, die Natur zu schützen und in Not geratenen Bergsteigern zu helfen, wurde die Bergwacht im Jahre 1920 in München gegründet. Die Zunahme der Wander- und Kletterbewegung sowie des Skilaufens veranlasste die Gründungsväter dann 17 Jahre später, auch in Württemberg eine Bergwacht ins Leben zu rufen. Im Jahre 1949 wurde die Bergwacht „Abteilung Württemberg“ mit den Ortsgruppen Stuttgart, Esslingen, Schwäbisch Gmünd und Göppingen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder gegründet.