· PM 2017

Bericht Vortrag Dr. Schön

Genügt das Humanitäre Völkerrecht noch? -

Dr. Volkmar Schön ist seit zehn Jahren Vizepräsident im Bundesverband des Deutschen Roten Kreuzes. Am 9. Mai war er als Referent im Rotkreuz-Landesmuseum Baden-Württemberg in Geislingen und verdeutlichte die Probleme, die es weltweit im Zusammenhang mit dem Humanitären Völkerrecht gibt.

Wie schwierig die weltweite Durchsetzung des Humanitären Völkerrechtes (HVR) ist und welche konkreten Probleme es dabei gibt, darüber informierte Dr. Volkmar Schön bei einem Vortrag im Rotkreuz-Landesmuseum in Geislingen. 50 Besucher waren gekommen, um dem DRK-Vizepräsidenten bei seinen Ausführungen zuzuhören und erfuhren Interessantes aus der Welt der Diplomaten und Verhandlungsführer. Allerdings nichts wirklich Mutmachendes.

Als das HVR in Form des Genfer Abkommens im Jahr 1949 grundlegend überarbeitet und erweitert wurde, war es – vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges – brandaktuell, machte Dr. Volkmar Schön deutlich. Festgelegt wurden die Hilfe für verwundete Soldaten und der Schutz für Helfer, Kriegsgefangene und die Zivilbevölkerung. Allerdings ging mit dem Zweiten Weltkrieg die Zeit der klassischen Konflikte zwischen zwei oder mehr Staaten dem Ende zu innerstaatliche Konflikte traten in den Vordergrund. Aus diesem Grund gibt es seit 1977 die Zusatzprotokolle zum Genfer Abkommen, in denen zusätzlich vor allem der Schutz der Umwelt im Konfliktfall sowie der Umgang mit innerstaatlichen Konflikten geregelt wurden.

„Heute handelt es sich meist um innerstaatliche Konflikte – und die Machthaber akzeptieren dafür die Bezeichnung Krieg nicht“, erläuterte der Referent. Tatsächlich seien die Grenzen für die Auseinandersetzungen oft fließend. Den Gruppierungen, die anfangs gegen die Regierung kämpften, gehe es im Lauf der Zeit häufig nur noch um die eigene Macht. Oft wechselten die Allianzen zwischen den kämpfenden Parteien und es sei schwierig, die richtigen Ansprechpartner für Verhandlungen zu finden, um die Einhaltung des HVR einzufordern.

Ein weiteres Problem liege darin, dass sich die Konflikte immer mehr in dicht besiedelten Gebieten abspielten, in denen das militärische Ziel schwer von zivilen Zielen zu unterscheiden ist. „Ich denke da an Mosul, wo die Bevölkerung immer wieder auch als Schutzschild in den Kampfzonen benutzt wurde“, gab der Referent ein Beispiel.

Genauso komplex sei der Schutz medizinischer Infrastrukturen, etwa dann, wenn Krankenhäuser als Angriffsobjekte herhalten müssten. „Die Situation ist für die betroffene Zivilbevölkerung unfassbar schlimm“, machte Dr. Volkmar Schön die perversen Situationen in manchen Konfliktländern klar. Nicht zuletzt sei die Cyberkriegsführung ein Thema, über das in Bezug auf das HVR nachgedacht werden müsse.

Ein Themengebiet aus dem HVR, über das in den Gremien der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegungen über Jahre hinweg diskutiert worden war, ist das Verbot und die Regulierung bestimmter Waffensysteme: Kernwaffen zum Beispiel unterscheiden nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen und sie zerstören darüber hinaus auch die Lebensumwelt der Menschen.

Dazu wurde – auch auf Initiative und mit Unterstützung des Roten Kreuzes – unter Federführung der Vereinten Nationen Ende 2016 ein Verhandlungsprozess gestartet, um diese zu verbieten und zu vernichten. „Wer bisher nicht zu den Verhandlungspartnern gehört, sind die Nuklearmächte oder auch Deutschland, das von einer Nuklearmacht beschirmt wird“, erklärte Dr. Schön ein Dilemma.

Eine Analyse des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz im Jahr 2011 über die notwendige Weiterentwicklung des HVR ergab eine Liste von 30 Themen. Die Staaten und Institutionen (siehe Infokasten), die sich auf entsprechende Regelungen einigen wollten, reduzierten diese zuerst auf vier, dann auf zwei – um am Ende, 2015, wegen des Einspruchs von 15 Staaten, doch ohne praxistaugliche Resolution dazustehen. Um die Gespräche und damit die Hoffnung nicht ganz absterben zu lassen, wird der Diskussionsprozess momentan in sehr engem Rahmen mit dem Ziel fortgesetzt, bis 2019 doch noch konkrete Vorschläge zu erarbeiten.

„Es wäre schön, wenn am Ende wenigstens einige Verbesserungen dabei heraus kämen“, resümierte der Referent. Am Ende seiner Ausführungen zeigte er Fotos aus Syrien und Uganda, wo das Deutsche Rote Kreuz in Zusammenarbeit mit den Roten Halbmondgesellschaften Hilfsgüter beschafft und unter den Hilfsbedürftigen verteilt. Unterstützung in vielfältiger Hinsicht erteilt es zurzeit außerdem in den aktuellen Konfliktgebieten Westsudan (Darfour), im Jemen, in Somalia, in Kolumbien, im Irak, in den Nachbarländern Syriens (Jordanien, Libanon und Türkei) und seit Februar auch in Libyen.

Info:
Zu den Verhandlungspartnern gehören das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, alle nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften sowie sämtliche Staaten, die das Genfer Abkommen unterzeichnet haben.

Hilfe – selbst unter schwierigsten Bedingungen

Dr. Volkmar Schön kommt aus Hamburg, ist unverheiratet und hat Archäologie studiert. Seit zehn Jahren ist der 60-Jährige Vizepräsident im Bundesverband des Deutschen Roten Kreuzes. Claudia Burst hat ihn zu seinem Amt und seinen Aufgaben befragt.

Kreuz & Quer: Herr Schön, was sind die Aufgaben eines DRK-Vizepräsidenten?
Dr. Volkmar Schön: Man versucht den Laden zusammenzuhalten (er lacht). Es gibt zwei Vizepräsidenten, meine Kollegin ist Frau Donata von Schenck. Sie kümmert sich um den Wohlfahrtsbereich, ich eher um Strategie und Verbandsentwicklung, um Verbreitungsarbeit, interkulturelle Öffnung und Internationales.

K&Q: Welches dieser Themen interessiert Sie besonders? Gibt es für Sie ein Herzblut-Thema?
VS: Nein, es ist keins wichtiger als das andere. Die Strategie-Arbeit ist ein Kopfthema, die interkulturelle Öffnung berührt mich eher emotional.

K&Q: Warum?
VS: Weil ich im Lauf meines Lebens und der DRK-Arbeit viele fremde Kulturen kennen- und schätzen gelernt habe. Ich weiß daher, dass man fast immer auf positive Resonanz stößt, wenn man Menschen offen aufnimmt. Aber Vereinsstrukturen und Vereinsleben wie bei uns sind doch noch sehr deutsch geprägt.

K&Q: Sie fliegen morgen weiter nach Genf. Warum?
VS: Ich gehöre einem Komitee an, das sich um Integritätsprobleme bei Schwesterngesellschaften kümmert und einzelne Fälle bespricht.

K&Q: Was muss man sich unter solchen Integritätsproblemen vorstellen?
VS: Na, etwa wenn sich einzelne Gruppen rotkreuz-unwürdig bekämpfen oder verhalten. Oder wir gehen einem Korruptionsverdacht nach. Solche Dinge.

K&Q: Um auf die geringen Ergebnisse auf die zähen Verhandlungsprozesse zurückzukommen, von denen Sie in Ihrem Vortrag geredet haben. Wie motiviert man sich da selber, um immer wieder weiterzumachen?
VS: Die Alternative ist schrecklich, es gibt nur diesen einen Weg, immer wieder das Gespräch zu suchen. Um im Endeffekt vielleicht wenigstens etwas zu erreichen. Als Archäologe bin ich es gewöhnt, in langen Zeitdimensionen zu rechnen (er lacht).

K&Q: Muss sich die Rotkreuzgemeinschaft darauf einstellen, dass bestehende Konflikte über Jahrzehnte weitergeführt werden?
VS: Ich bin kein Katastrophenbotschafter. Aber ja, zurzeit muss man sich auf längere Zeiträume einstellen. Da spielt auch die Klimaveränderung und daraus resultierende Umweltprobleme mit Begrenzung der Ressourcen, Dürren und Hochwasserfluten eine Rolle – Menschen mit Existenzängsten stehen unter Druck und sind aggressiver.

K&Q: Wo sehen Sie die größten Erfolge des DRK im internationalen Bereich?
VS: Darin, dass wir es trotz aller Krisen auf der Welt immer noch schaffen, vor Ort bei den Menschen zu sein, die Hilfe brauchen. Selbst unter den schwierigsten Bedingungen. Stolz bin ich darauf, dass wir als DRK nicht nur an vielen Orten Hilfe in Form von Geld und Hilfsgütern leisten, sondern durch viele Menschen, die sich vor Ort persönlich engagieren.

K&Q: Herr Dr. Schön, ich danke Ihnen für Ihre Zeit und kompetenten Antworten.